Amsterdam: Wo Räder die neuen Autos sind
In Amsterdam kann man vieles lernen. Das war mit ein Grund, zur Feier des Jahresanfangs dorthin zu fahren. Die anderen waren akute Unlust, zu arbeiten, die gute Direktverbindung mit der Deutschen Bahn ab Berlin Hauptbahnhof sowie phänomenale Sparpreise Anfang Januar. Wer hätte gedacht, dass diese Urlaubszeit noch nicht umfassend erschlossen ist?
Doch ich wollte ja über meine dortigen Lernerfolge sprechen.
Häuser mit großen Fenstern sehen wahnsinnig sympathisch und heimelig aus, was im Vergleich noch mehr die Crumpy-Cat-Haftigkeit deutscher Fassaden nach der Wärmedämmung unterstreicht.
Nicht nur die Deutschen, sondern auch die Niederländer:innen pflegen eine große Liebe zu Brot. Nur mit dem Unterschied, dass ihres ohne Körner und Geschmack daherkommt. (Pro-Tipp: Besser keine Suppe oder Omlette bestellen. Außer, man hat kein großes Interesse an den georderten Speisen, dafür umso mehr am sympathischen Sattmacher, wie Inka Bause Brot nennen würde).
Radfahrer:innen sind die Pest.
Ja, das kam jetzt überraschend, was? Aber mehrere Tage als Fußgängerin in Amsterdam haben mich gelehrt: Räder sind richtig scheiße. Zumindest, wenn sich ihre Fahrer:innen in der Mehrheit fühlen und alle Eigenschaften übernehmen, die Menschen in Autos ihnen über viele Jahre falsch vorgemacht haben. Zebrastreifen als unverbindliche Empfehlung anzusehen, zum Beispiel. Abzubiegen, ohne zu gucken. Oder ihre Fahrzeuge überall in den öffentlichen Raum zu ramschen und damit das bisschen Platz, das nicht Straße oder Radweg ist, noch mehr zu dezimieren.
Ganz recht, das vorne im Bild ist der Hinweis, dass diese Straße fahrradfrei ist, weil es einfach reicht.
Nun ist es so, dass ich auf diese Erkenntnis sehr gerne verzichtet hätte. Schließlich treibt die Erwähnung von Amsterdam Radenthusiasten verlässlich Tränen von Neid und Rührung in die Augen, weil dort sehr erfolgreich Menschen raus aus dem Auto, rauf aufs Rad bewegen wurden. In Zeiten übler Luft sowie Mangel an Platz in den wachsenden Städten und Bewegung bei ihren Bewohner:innen gilt das als erstrebenswert. Geholfen haben dabei die sagen wir sehr ebenmäßige Landschaft der Niederlande, aber auch der Bau von Radwegen. Radwegen. Mehr Radwegen, Fahrradparkhäusern, weiteren Radwegen, Radüberführungen, Radunterführungen, Radstraßen, Radwegen – sagte ich schon Radwege?
Ich denke, das Prinzip ist klar.
In jedem Fall hat Amsterdam bewiesen, dass Menschen sehr gerne mit dem Rad fahren, wenn es schlichtweg die bequemste Möglichkeit bietet, von irgendwoher nach irgendwohin zu kommen. Doch wenn alle Fahrrad fahren, nervt halt auch. Zumindest, wenn man selbst zu Fuß unterwegs ist.
Womit ich sagen möchte: Liebe Flächengerechtigkeitspropheten, Fahrradlobbyisten und Verkehrsplaner. Es ist erst ein paar Jahrzehnte her, dass Eure Vorgänger vieles falsch machten, als sie Autos als den heißesten Scheiß der Stunde nachträglich in Städte reinplanten und dabei hübsche Innenstadtgassen zu autobahnauffahrtesken Schnellstraßen und die verbliebenen Flächen zu Parkplätzen erklärten. Bitte (bitte. Bitte!) wiederholt diese Fehler jetzt nicht mit Fahrrädern, und nein, das bedeutet nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Aber zu Fuß zu gehen ist auch eine gesunde und umweltfreundliche Art, von der Stelle zu kommen – und zudem die einzig mögliche für viele sehr alte und sehr junge Menschen sowie jene, die weder Rad noch Fähigkeit, ein solches zu bewegen, ihr Eigen nennen. Und Städte sollen doch für alle da sein, gell?
Dankeschön, das war es auch schon. Über Lektion 4 des Telekollegs Amsterdam (“Touristen mögen es zentral und frittiert”) sprechen wir dann ein anderes Mal.
Urbanes andernorts
(andere würden Linkliste sagen):
Zack, ein paar Poller aufgestellt, und schon hat man ruhigere Kieze ohne Durchgangsverkehr. Wie die Sparfüchse von der Berliner Verwaltung mit wenig Einsatz große Wirkung entfalten möchten, steht in der Berliner Morgenpost.
Hinter all diesen Fenstern sind die Wohnungen in europäischen Städten überraschend ähnlich geschnitten, hat das City Lab festgestellt. Wie und warum erkundet es gerade in einer Reihe. Bereits erschienen: London, Berlin, Amsterdam und Paris.
Alle wollen ihre Städte smart. Aber dumm kann auch schön und hilfreich sein, steht im Guardian.
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