Möbelparadies Stadt
Ein neues Sofa könnte es noch sein. Nicht müsste, aber könnte, und das wäre wirklich das Allerallerletzte, das mir noch einfiele, das sich nach knapp einem Jahr erzwungener Staycation, wie wir Freunde des Euphemismus die Pandemie nennen wollen, als mögliche Wohnumfeldverbesserung noch umsetzen ließe.
Der Rest ist durch.
Wenn ich dem Internet sowie den Menschen traue, die derzeit noch Lust verspüren, mit mir „Nee, bei mir gibt’s auch nichts Neues“-Kommunikation zu betreiben, bin ich mit dieser Erfahrung nicht alleine. Wenn man schon viel zu Hause abhängt, kann man es sich auch richtig schön machen, und so wurden die Möbelindustrie nicht nur, aber auch zu NRW ebenso wie Haustextil- und Küchenutelsilien-Angebote beonlineshopt, bis der DHL-Bote kurz vor dem Status als offiziellem Haushaltsmitglied war. Doch mittlerweile sind sogar Fußbodenleistenpolitur und Ersatzdichtungsgummis für die Espressokanne geliefert, und man fragt sich, womit es sich abzulenken lohnt, bis wir wieder vor die Tür dürfen?
Mit der Dekoration der Flächen vor der Tür! Und damit herzlich willkommen zur ersten Folge dieses kleinen Newsletters im Jahr 2021, in dem endlich nicht alles gut, aber vieles besser wird. Ansonsten wäre es ja nicht mehr auszuhalten. Das Thema unseres Telekollegs heute lautet Stadtmöbel. Was klingt wie die Vorband von Blumfeld, deren Album „Rasenkantenabschnittsgefährten“ 2003 nur den halben Durchbruch brachte, jedoch ein offizieller Fachbegriff für alles ist, das draußen rumsteht und nicht Gebäude, Auto oder Sperrmüll ist.
Was dazugehört? Parkbänke zum Beispiel. Telefonzellen. Blumenkübel. Laternen. Haltestellenhäuschen. Uhren. Spielgeräte. Mülleimer. Poller. Litfaßsäulen. Öffentliche Toiletten. Fahrradständer. Brunnen. Kunst im öffentlichen Raum. Und so fort. Leser:innen mit großem Latinum werden an dieser Stelle zu Recht bemerken, dass Möbel von „mobilis“ kommt, mit „beweglich“ zu übersetzten, und so ein Klohaus lässt sich schwerlich unter den Arm klemmen. Doch mit Kranes Hilfe ist es jederzeit hinzufüg- und wieder entfernbar, womit die entscheidenden Eigenschaften des Stadtmobiliars zusammengefasst wären.
Manches von diesem ist vorrangig funktional oder wurde im Mengenrabatt gleich für alle Kommunen gleichzeitig geordert. Dazu zählen aus einem zweifach geknickten Metallrohr bestehende Fahrradbügel oder das Wackeltier-Duo aus Elefant und Moped, ohne das sich in den 1990er Jahren keine deutsche Fußgängerzone blicken lassen konnte.
Doch schon bei Parkbänken und Straßenlaternen hört es mit der scheinbaren Einfachheit auf. Wie viele unterschiedliche Krümmungsgrade und Verschnörkelungstaktiken zu unterscheiden sind, fällt einem erst auf, wenn es einem auffällt. Entscheidende Faktoren in Sachen Design hören auf die Namen Zeitgeist, Geschmack sowie Größe der Portokasse zuständige:r Entscheider:innen in der Verwaltung.
Manches so ausgewählte Stadtmöbelstück hat es mit den Jahren zum Maskottchen seiner Heimat gebracht. Die roten Telefonzellen zu London oder die grünen Wasserpumpen zu Berlin sind da zu nennen. New York City hat vor zweieinhalb Jahren extra den großen „BetterBin“-Wettbewerb ausgerufen, um einen Nachfolger für den ikonischen Straßen-Mülleimer aus dunkelgrünem Drahtgeflecht zu finden. Der Siegerentwurf ist zur Freude der Müllentsorger:innen leichter und ermöglich Mülltrennung und damit Recycling. Beim alten Modell aus den 1930er Jahren war das nicht vorgesehen, was zeigt, wie sich mit der Zeit auch die Ansprüche an Stadtmöbel verändern.
Wer sich für aktuelle Trends in dem Bereich interessiert, trifft auf Bänke mit einem Doppelleben als Handyladestation und Wlan-Hotspot oder Mülleimer, die dank Solarantrieb selbst ihren Füllstand messen, komprimieren und irgendwann die Schotten schließen. Auch überdachte Stellplätze für Rollatoren oder Fahrräder gehören zu den Neuzugängen.
CityTree nennt sich eine Erfindung, die Sitzgelegenheit mit Luftfilterung kombiniert. Im Inneren der Rückenlehne wohnen Moose, die gegen Co2 und Stickoxide kämpfen und nebenher noch die Umgebung kühlen.
Ein Versuch, den seit den Anschlägen von Nizza und Berlin populär gewordenen Beton-Absperrpollern etwas abzugewinnen, ist deren Gestaltung in Lego-Optik samt Nebenjob als Verschnaufgelegenheit.
Der Trend geht also zur Multifunktion, schließlich ist Platz in Städten knapp, während die Ansprüche steigen. Da wir in einer wenn auch sozialen, dennoch Marktwirtschaft leben, besteht das gewisse Extra allerdings auch gerne einfach in der Nutzung als Werbefläche.
Zudem sollte ein Stadtmöbelstück noch eine weitere Fähigkeit besitzen: viel auszuhalten. Was bei Wind, Wetter und Vandaleneinbruch draußen rumsteht, muss einiges abkönnen. Mit unseren steigenden Ansprüchen an Digitalisierung und USB-Anschlussfähigkeit ist das jedoch gar nicht so leicht zu vereinbaren.
Eine mögliche Lösung ist hier am Beispiel des Union Squares in New York City zu bewundern. So akkurate Sitzgelegenheiten und Smart-Hubs (ich gehe davon aus, dass das das Fachbegriff ist für die abgebildete Art der Digitaltankstelle) finden sich in Wuppertal oder Naumburg City eher selten.
Dabei sind New Yorker:innen nicht besser erzogen und die Stadtkassen dort auch nicht voller als hierzulande, eher im Gegenteil. Vielmehr weil die Verwaltung keine Möglichkeit mehr sah, aus eigener Kraft den öffentlichen Raum zu gestalten, hat sie es den Gewerbetreibenden der angrenzenden Grundstücke überlassen. Sie wissen, dass ihre Turnschuhe und Bagel noch besser unters Volk finden, wenn dieses sich vor der Ladentür wohl fühlt. So entstand das Konstrukt des POPS, kurz für „Privately owend public spaces“, wo sogar regelmäßig jemand die Blumen gießt und die Tische abwischt, bezahlt von den privaten Unternehmen.
Im Gegenzug dürfen deren Sicherheitsdienste jedoch auch Menschen ohne Obdach des Sonnenstuhls verweisen, und Demonstrieren ist ebenfalls nicht erlaubt. Ein privat besessener öffentlicher Raum ist demnach zwar hübsch gepflegt, aber nicht länger für alle öffentlich. Am Berliner Kudamm wird etwas Ähnliches dennoch durchgezogen.
Kleiner Exkurs Ende. Doch warum nicht noch im Ausland verweilen? Stadtmöbel sind nämlich nicht nur an den Zeitgeist, sondern auch an ihre regionale Umgebung angepasst. Wer sich auf die Schnelle einen guten Überblick verschaffen möchte, fährt nach Kopenhagen in den Park Superkilen. Dort wurde ein Best-of der Möblierung aus den über 60 Herkunftsländern der Anwohner:innen aufgestellt. Die Idee einer Bank, die gleichzeitig Schaukel ist, stammt aus Baghdad. In Bulgarien gehören derweil Tische mit Schachbrettmuster draußen dazu.
So lässt sich einiges an Inspiration sammeln, wie wir es uns vor der Tür noch schöner machen können für den Fall und die Zeit, in der wir uns wieder ohne Schneeanzug vor jene wagen. Super sicher sind sich alle, deren Texte ich lese, dass wir aus der Pandemie den Riesenwunsch für die Zukunft mitnehmen werden, unseren gemeinsamen Stadtraum nicht nur fürs Parken unserer Autos zu nutzen. Schon heute garantieren kann ich, dass ab sofort das Phänomen der selektiven Wahrnehmung zuschlagen und sich überall Stadtmöbel materialisieren werden. Über Fotos und Hinweise auf Bemerkenswertes freue ich mich sehr.
Urbanes andernorts
Wenn nur noch Tauben und Einheimische da sind, kann das auch ganz schön sein, merkt Venedig dieser Tage. Wie die Stadt zurückfinden möchte zum Tourismus, ohne zurückzufinden zum Zu-viel-Tourismus, zeigt eine halbstündige Doku bei Arte.
Der Trend zum Mehr-Platz-für-Menschen erreicht in Paris den Champs Elysées. Ein paar tolle Projektionen, wie es bis 2030 aussehen soll, und wie bei der Gelegenheit auch die Pariser:innen zurück auf die Touri-Rennmeile mit hoher Versace-Shop-Dichte gelockt werden sollen, stehen beim Citylab.
Selten machte es bessere Laune, jemand schlecht Gelauntem zuzuhören, als wenn Fran Lebowitz über New York City spricht. Für die Netflix-Mini-Serie “Pretend It’s a City” hat Martin Scorsese die – Hammerberuf! – Trockenhumoristin und Autorin über ihre Heimat befragt. Ich will nicht zu viel versprechen, aber für mich war das ein Januar-Highlight.
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