Reisen muss sich wieder lohnen
Du weißt, dass eine Pandemie den Hai übersprungen hat1, wenn du zum Corona-Test in den Döner-Laden gehst. Genau das ist in Berlin mittlerweile möglich. Für andere Zielgruppen gibt es Tests in Kneipen, Immobilienbüros, Dental-Kliniken oder auch in Party-Pavillons als Test-to-go.
Die überbordende Naivität und der Leichtsinn, die diesen Boom verursachten, werden Millionen auf Sozialleistungen angewiesene Deutsche („Sorry Leute, aber für mehr Hartz IV haben wir echt kein Geld“) und ich Jens Spahn nie verzeihen. Doch an dieser Stelle soll es um einen anderen Aspekt gehen, der da lautet: Linke Hand Döner-Spieß, rechte Hand Corona-Test-Stab – werte Pandemie, es reicht!
Das erste Mal seit zu vielen Monaten scheinen Inzidenzen, Intensivbettenauslastungsstatistiken und Christian Drosten das auch so zu sehen.
Die Einen freuen sich im Zuge dessen auf ein Wiedersehen mit der Familie, einen Restaurantbesuch oder die Rückkehr zur Mannschaft auf den Hockeyplatz. Besonders Wagemutige (oder, wie die Mallorca-Frühbucher-Fraktion aus dem Frühjahr sagt: Spätzünder) schielen hingegen Richtung Sommerurlaub. Dass dabei nicht nur an Campingplätze an der Ostsee und österreichische Ferienbauernhöfe gedacht wird, ist die große Hoffnung von Hoteliers, Gastronom:innen und Schneekugeln-mit-Top-Sehenswürdigkeit-Verkäufer:innen in Berlin, Wien oder New York.
Im April 2020 fand ich die Menschenleere zwischen Alexanderplatz und Mauerdenkmal komisch, aber faszinierend. Dann gewöhnte ich mich daran. Mittlerweile möchte ich jedoch festhalten: Es ist trostlos und nervt. Zumal ich mir andererseits auch selbst wenig mehr wünsche als die Rückkehr zur Städtereise, sobald der allgemeine Impfstatus das unter verantwortbar verbuchbar macht.
Wie bei allem, was die Pandemie uns nahm, lohnt sich anlässlich der Rückkehr Richtung Normalität die Frage: Lohnt sich zur Feier des Tages eine Veränderung? Wollen wir weiter zwei Stunden pro Tag zur Arbeit pendeln? Das Pflegepersonal weiter so mies bezahlen? Unsere geizgeilen drölf Urlaube pro Jahr weiter auf Kosten Anderer absolvieren? Tendenziell eher nein.
Ja, ich weiß. Bei Letzterem dachte ich auch, das ginge mich gar nichts an. Schließlich fahre ich nicht mit dem Kreuzfahrtschiff nach Dubrovnik, übernachte nicht in Barcelona im AirBnB und bekotze auch nicht Hausflure im Umfeld des Berghain, was alles Phänomene sind, die wahlweise die Umwelt oder Nachbarschaften ruinieren. Doch selbst als wohin es geht individualreisende Bahntouristin mit Bettersteuer-pflichtiger Unterkunft, kulturellem wie kulinarischem Interesse und sich daraus speisender Überzeugung, etwas Gutes für die örtliche Wirtschaft zu tun, musste ich lernen: So ein bisschen Ausbeutung ist trotzdem im Urlaub inkludiert.
Weitere Beiträge über Städtetourismus bei Zentrale Orte:
Es begab sich zu einer Zeit, als wir Corona für ein mittelmäßiges Bier hielten, dessen Genuss in stickigen Kneipen dennoch als unbedenklich galt. Damals dachte ich, ich könnte als Reiseführerautorin und Berliner Lokaljournalistin mit leichtem Schreibtischsitzüberdruss mein Portfolio erweitern und mich im Feld der Stadtführungen ausprobieren. Reichtümer erwartete ich als erfahrene siehe oben nicht. Aber selbst mich abgehärtete freie Autorin mit der Honorar-Vorstellung „Es sollte eins geben“ wusste diese Branche zu irritieren.
Ein Unternehmen, das Erkundungstouren durch die Kieze mit denen der örtlichen Gastronomie kombiniert, wollte erst einmal Geld von mir. Schließlich sei es ja zu meinem Vorteil, wenn ich mir zunächst als Teilnehmerin ihrer Führungen Wissen und Struktur der Angebote draufschaffte. Die mit Logo versehene Ausrüstung aus Jacke, Tasche und Co zwecks äußerlicher Indentifikation mit dem Job sollte ich ebenfalls bitte selbst bezahlen.
Auch die sympathische Konkurrenz, die Gruppen per Fahrrad durch die Stadt leitet, erwartete für die Einarbeitungs-Phase von etwa 40 Stunden über mehrere Wochen erst einmal 150 Euro Kaution. Eine Rückerstattung erfolge, wenn man selbst 40 Touren geleitet, also bereits mehrere Monate gearbeitet habe (“Das schlaucht ganz schön. Mehr als drei Aufträge pro Wochen packt man normalerweise nicht.”). Andernfalls eigneten sich Leute einfach kostenlos Wissen an, ohne dass die Firma am Ende profitiere, so das Argument.
Als Gegenleistung versprach man dafür, je nach Größe der Gruppe, ein Honorar von 65 bis 80 Euro pro 3,5 bis 4,5 stündiger Tour. Was nur solange nach mehr als Mindestlohn klingt, bis man weiß, dass damit auch An- und Abfahrt, Vor- und Nachbereitung sowie sämtliche Sozialleistungen und Versicherungen sowie mit Krankheit oder Urlaub verbrachte Tage abgegolten sind. Bei diesem wie auch bei allen anderen von mir kontaktierten Unternehmen läuft der Job nämlich auf selbständiger Basis und nicht etwa sozialversicherungspflichtig angestellt.
Ein weiterer Anbieter, der sich selbst für seine besonderen Einblicke in historische, kulturelle und soziale Bedingungen vor Ort sowie seine Beiträge zur politischen Debatte durch diese preist, erklärte zumindest ehrlich auf meine E-Mail-Anfrage:
“Mit der Durchführung von Stadtspaziergängen lässt sich - leider - kein Vermögen oder wenigstens der Lebensunterhalt verdienen, sondern [das] ist eine hoffentlich in vielerlei Hinsicht lohnenswerte Nebentätigkeit.
Die Tätigkeit als Stadtführer*in lohnt sich auf jeden Fall für die eigene berufliche Entwicklung und Kommunikation.
Die Einarbeitung in Stadtführungen kostet Zeit. Daher sollte das Engagement in die eigene berufliche oder Lebensplanung passen. Sie sollten also von wenigstens zwei Jahren ausgehen.“
Dass die auf Kunst und Kultur spezialisierte, in ganz Deutschland aktive Stadttouren-Firma am Donnerstagabend mitteilte, ich solle Freitagmittag eine auf ihre Ansprüche abgestimmte, einstündige Probe-Führung halten. Zum Teil auf Englisch. Natürlich umsonst. Danach könne man ja mal über eine Zusammenarbeit sprechen. Natürlich ebenfalls auf Honorarbasis, je nach Inhalt und meinem Bildungsstand läge diese zwischen 40 und 60 Euro pro Tour. Das überraschte mich schon kaum mehr.
Dafür werben alle mit flexiblen Arbeitszeiten, eigenverantwortlichem Arbeiten, netten Kontakten zu den unterschiedlichsten Menschen – ach ja, und Trinkgeld gebe es obendrauf. Ob jedoch jemand das noch für nötig hält, der gerade für 30 Euro durch Berlin radelt oder gar für 40 eine der kulinarischen Führungen absolviert, wage ich in Frage zu stellen.
Für mich persönlich will ich über all das gar nicht jammern. Mich zwang niemand, diese Jobs anzutreten, und dann kam eh Corona und hat die Option weggewischt. Doch als Stadtführer:in muss man mit Menschen ebenso wie mit vielen Generationen Hohenzollern und den von ihnen favorisierten Baustilen können sowie zudem die Stadt gegenüber Besucher:innen repräsentieren. Ein Grundschulabschluss reicht dafür nicht aus. Das blieb mir als bis dahin unbekannte Misere im Hinterkopf.
Wir wollen und sollen Urlaub in Städten machen, schließlich erweitert das den Horizont und macht schlichtweg Spaß. Doch neben klimaschädlichen Billigfliegern und Finanzamt wie wohnungssuchende Einheimische prellenden Privatunterkünften gibt es weitere Klippen zu umschiffen für diejenigen, die mehr richtig machen wollen. Die der ausgebeuteten Tourismus-Dienstleister:innen gehört dazu. Zu diesen zählen neben den nun ausreichend thematisierten Stadtführer:innen auch viele Mitarbeiter:innen in der Gastronomie (nein, das sind nicht alles Studierende), die gerade einmal Mindestlohn verdienen. Und wer hätte gedacht, dass in der Touristen-Information am Prenzlauer Berg ohne 1-Euro-Jobber:innen gar nichts läuft?
Was sollen wir mir diesem Wissen nun anfangen, außer kurz auszurufen „Ich prangere das an!“? Keine Touren buchen? Keinen Urlaub machen? Sich zu Hause im Garten ein Loch graben und sich der weiteren Teilnahme an der Gesellschaft komplett verweigern? Wem es beliebt, auch all das. Ich persönlich habe beschlossen, Reisebudgets um noch größere Trinkgeldkassen zu erweitern, und vielleicht kann das ja ein Anfang sein.
Urbanes andernorts
Schaukeln!, und was Teenagerinnen sich sonst so wünschen, um entspannt und ohne Angst im öffentlichen Raum abzuhängen, weiß das City Lab. (Mehr über die sich bislang vorrangig an den Wünschen von Männern orientierende Stadtplanung stand übrigens vor kurzem hier.)
Bus und Bahn sollten wenig oder gleich gar nichts kosten, hat uns die Pandemie gelehrt, meint die Washington Post.
Parkhaus auf Niederländisch:
Hier sieht man den Ersten, der den Hai übersprang, im Original:
Die Szene entstammt der fünften Staffel der US-Serie “Happs Days”, als den Autor:innen nichts mehr einfiel, außer den Hauptdarsteller über den Hai zu schicken. Seitdem steht “jumping the shark” für einen Zeitpunkt weit jenseits des Zenits.